Alternative Wohnformen als Lösung für den Wohnungsmangel

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Das Mietshäuser Syndikat

Der Wohnungsmarkt deutscher Groß- und Universitätsstädte ist geprägt durch einen rapiden Anstieg der Mieten. Vor allem einkommensschwächere Bewohner*innen oder Familien mit Kindern können sich diese häufig nicht mehr leisten. Sie werden aus ihren Stadtteilen und teilweise sogar ihren Städten vertrieben. Auch für Durchschnittsverdiener werden die Mieten immer unbezahlbarer. Aber woran liegt das? Warum ist das überhaupt ein Problem? Und welche Lösungen gibt es? 

Entstanden ist diese Situation zum einen durch den Rückzug der Politik aus der Wohnraumversorgung in den 1980ern und 90ern. In den 80ern begann die Regierung mit der Privatisierung des sozialen Wohnungsbaus. 1990 wurde dann auch die Wohngemeinnützigkeit gestrichen. Unter diesem Gesetz hatten Wohnungen, die höchstens vier Prozent Gewinn machten, zuvor Steuererleichterungen bekommen. Insgesamt wurden seit den 80ern die Gewinnbeschränkungen von fast vier Millionen Wohnungen aufgehoben und über zwei Millionen Wohnungen in staatlichem Besitz privatisiert. 

Dazu kommt außerdem, dass der soziale Wohnungsbau in Deutschland heutzutage so konzipiert ist, dass die Vereinbarungen für staatliche Förderung nur 25 bis 45 Jahre gelten. Danach können die Wohnungen zu marktüblichen Mieten vermietet werden. Dadurch gehen dem sozialen Wohnungsbau in Deutschland jedes Jahr mehr Wohnungen verloren als neue gebaut werden. 

Der Hauptgrund für die angespannte Situation auf dem deutschen Wohnungsmarkt heute liegt jedoch bei der Beliebtheit deutscher Immobilien als Investitionsstrategie. Deutsche Immobilien sind eine sehr sichere Investition und versprechen eine starke Wertsteigerung. In Berlin beispielsweise stieg der durchschnittliche Kaufpreis bebauter Grundstücke zwischen den Jahren 2009 und 2015 von 680 Euro pro Quadratmeter auf über 1300 Euro pro Quadratmeter. Dieser hohe Kaufpreis muss sich jedoch auch lohnen, was zu der extremen Explosion der Mieten führt.

Auch im Neubau lässt sich dieses Problem wiederfinden. Häufig wird er als Lösung für die Problematik des Wohnungsmangels genannt. Es stimmt definitiv, dass in Deutschland Wohnungen fehlen. Laut dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung fehlten im Jahr 2015 in Deutschland 700.000 Wohnungen. Nach der Prognose des Instituts müssten jährlich 350.000 bis 400.000 neue Wohnungen gebaut werden, um den Bedarf zu decken. 2015 wurden immerhin 217.000 neue Wohnungen errichtet. Davon waren jedoch nur die wenigsten für den Normalverdiener bezahlbar. Das heißt gerade für die Personen, die diese Wohnungen dringend brauchen, werden kaum welche gebaut. 

Einen Mangel an Luxuswohnungen bzw. Wohnungen für Personen mit überdurchschnittlichem Einkommen gibt es dagegen nicht. Zu den Neubauten kommen nämlich auch die vielen Wohnungen, die von Investoren saniert werden, um so Mietpreisbremsen zu umgehen. Mietpreisbremsen gibt es in vielen Städten als Versuch von Regierungen, die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt zu lösen. Sanierte Wohnungen sind davon jedoch ausgenommen. Daher sanieren viele Investoren die gekauften Wohnungen, um dann die Mieten extrem zu steigern. Die vorherigen Bewohner können sich diese Mieten dann häufig nicht mehr leisten und werden aus ihren Wohnungen verdrängt.

 

Gentrifizierung – Aufwertung oder Problem?

Dieser Vorgang der Verdrängung wird auch als Gentrifizierung bezeichnet. Wenn man diesen Begriff hört, denken viele an Hipster-Cafés und Soja-Latte. Das sind aber lediglich die Merkmale des Aufwertungsprozesses. Das zentrale Charakteristikum von Gentrifizierung und das eigentliche Problem ist jedoch die Verdrängung der Bevölkerung, die dieser Aufwertungsprozess voraussetzt. Der deutsche Sozialwissenschaftler Andrej Holm definiert Gentrifizierung folgendermaßen: „Gentrification ist jeder stadtteilbezogene Aufwertungsprozess, bei dem immobilienwirtschaftliche Strategien der Inwertsetzung und/oder politische Strategien der Aufwertung den Austausch der Bevölkerung für ihren Erfolg voraussetzen. Verdrängung ist das Wesen und kein ungewollter Nebeneffekt der Gentrification.“ (Holm 2014, 102)

Nun kann man sich fragen, warum das denn ein Problem ist. ‚Warum sollten Menschen, die es sich nicht leisten können, in der Stadt wohnen? Sie können doch auch an den Stadtrand oder aufs Land ziehen‘, hört man in diesen Debatten häufig. Eine Antwort hierauf wären die ernsten Auswirkungen, die diese Verdrängung auf die Verdrängten hat. Sie verlieren nicht nur ihre Wohnung, sondern auch ihre gewohnte Umgebung und ihre sozialen Netzwerke. Außerdem schädigt Gentrifizierung die Sozialstruktur der Stadt. Sie führt zu einer räumlichen Segregation, und das ist für keine Gesellschaft gesund. 

Es wird viele Menschen geben, die diese Argumente nicht überzeugen, hier also noch ein letztes: Eine Stadt braucht Menschen, die eine Vielfalt an unterschiedlichen Berufen ausüben. Sie braucht nicht nur Ärzte, Anwälte, Manager und Ingenieure, sondern auch Krankenpfleger, Erzieher, Friseure, Verkäufer, Handwerker, Künstler und viele mehr. In deutschen Großstädten haben inzwischen aber sogar Krankenpfleger Schwierigkeiten, eine bezahlbare Wohnung zu finden, ganz zu schweigen von anderen wichtigen Jobs, die noch geringere Gehälter beziehen. Diese Menschen werden in den Städten dringend gebraucht, warum sollten sie sich also nicht auch eine Wohnung leisten können. 

 

Neue kollektive Wohnformen – die Lösung des Problems?

Wie lässt sich genug Wohnraum schaffen, der für Normalverdiener bezahlbar ist? Wie lässt sich verhindern, dass Menschen aus ihren Wohnorten verdrängt werden, selbst wenn das Viertel aufgewertet wird? Der Markt bietet für diese Fragen eindeutig keine Antwort und der Staat derzeit auch nicht. Aber es gibt auch andere Lösungen für dieses Problem. Eine dieser alternativen Strategien sind kollektive Wohnformen. Dazu gehört auch das Mietshäuser Syndikat, das ich im folgenden vorstellen möchte.

 

Das Mietshäuser Syndikat

Das Mietshäuser Syndikat ist der Rechtsform nach eine GmbH, die in den 1990ern in Freiburg am Breisgau mit dem Ziel gegründet wurde, Grundstücke und Immobilien dem Markt zu entziehen und dadurch bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und heute aus 159 verschiedenen Hausprojekten besteht. 

Trotz seiner Rechtsform teilt das Mietshäuser Syndikat viele Gemeinsamkeiten mit den ideellen Kernideen von Genossenschaften, genauer gesagt den Prinzipien des kollektiven und gleichberechtigten Wirtschaftens, der demokratischen Entscheidungsfindung und der Abwendung von der Profitorientierung. Mitglieder sind gleichzeitig Leistungsbezieher, Finanziers und Mitbestimmer. Die Gründer des Mietshäuser Syndikats haben sich jedoch ganz bewusst gegen diese Rechtsform entschieden, da sie sich den Zusammenschluss vieler Einzelprojekte vorstellten und sich Einzelgenossenschaften nicht gut verbinden lassen. Eine einzige Dachgenossenschaft hätte wiederum zu zu wenig Autonomie für die einzelnen Projekte geführt.

Stattdessen haben sie ein ganz eigenes System entwickelt, um sich Immobilien anzueignen und vor der Privatisierung zu schützen: Jedes Hausprojekt besteht aus einer eigenen GmbH, die die Immobilie des Projekts besitzt. Die Gesellschafter in dieser GmbH sind ein Hausverein der Bewohner*innen des Projekt und die Mietshäuser Syndikat GmbH. Die Hausvereine aller Projekte und andere externe Interessierte sind wiederum Besitzer dieser Gesamt-GmbH und treffen demokratisch Entscheidungen. Die größte Aufgabe der Gesamt-GmbH ist es, einzuschreiten, wenn ein Hausverein vorhat, seine Immobilie zu verkaufen und damit wieder dem Markt zuzuführen. So wird gewährleistet, dass die einzelnen Projekte auf der einen Seite sehr autonom in ihrer Gestaltung sind, auf der anderen Seite jedoch nicht komplett frei sind, die Immobilie im Markt wieder zu verkaufen. 

Der große Vorteil des Mietshäuser Syndikat sind die vergleichsweise geringe Mieten. Dies ist zum einen dadurch möglich, dass es niemanden gibt, der mit den Immobilien Gewinn machen will. Es müssen also nur die Finanzierungskosten getilgt und die Instandhaltung bezahlt werden. Hinzu kommen die Gemeinschaftsflächen in vielen Projekten, die insgesamt zu einem unterdurchschnittlichen individuellen Flächenverbrauch führen. Außerdem werden Kosten gespart, da die Bewohner bei Sanierungen selbst die Entscheidungen treffen und so transparente und wirtschaftlich sinnvolle Vorgehen wählen können. 

Mit der Miete müssen zunächst also nur die Kredite bezahlt und die Finanzierungskosten getilgt werden. Sobald dies erreicht ist, werden sie jedoch nicht gesenkt. Stattdessen fließt das Geld, das neben den Kosten für Instandhaltung und Sanierung übrig bleibt, in einen Solidarfonds, mit dem neue Projekte finanziell unterstützt werden. Hinzu kommt, dass kollektive Projekte wie Genossenschaften oder Hausprojekte des Mietshäuser Syndikats den Vorteil haben, nicht den politischen Entscheidungen wechselnder Regierungen zu unterliegen.

 

Für wen eignet sich kollektives Wohnen?

Für den einen oder anderen mag der Gedanke an diese Art des kollektiven Wohnens trotz allem abschreckend wirken. Einige denken vielleicht an WGs oder andere Wohnformen mit wenig Rückzugsraum, aber davon sollte man sich nicht abschrecken lassen. Die Wohnformen, die die unterschiedlichen Projekte annehmen, sind ganz unterschiedlich. Sie reichen von genannten WGs bis hin zu Großprojekten wie der SUSI in Freiburg. Hier wohnen seit den 90ern in zu Wohnhäusern sanierten Kasernen und Bauwägen 285 Menschen. Damit ist es das größte Projekt des Mietshäuser Syndikats. 

Ein neueres Beispiel für ein Projekt in kleinerem Maßstab ist das Zossener 48 in Berlin. Gegründet wurde dieses Projekt 2017, um ein Mietshaus vor dem Verkauf an anonyme Spekulanten zu schützen. Heute bietet es in Kreuzberg 26 Menschen bezahlbaren Wohnraum. 

Und natürlich gibt es auch Projekte für Leute, die sich wünschen, gemeinschaftlich in Groß-WGs zu wohnen, so zum Beispiel die Grafschaft31 am südlichen Stadtrand von Münster. Hier wohnen 14 Menschen in einem Bauernhof umgeben von 4 Ha Land. 

Gemeinsam haben jedoch alle, dass hier eine Immobilie erfolgreich dem Markt entzogen wurde und nun komplett nach dem Willen und den Bedürfnissen der Bewohner unterhalten wird. Mit Mieten, die unter der lokalen Durchschnittsmiete liegen. 

 

Wohnraumversorgung selbst in die Hand nehmen

Gentrifizierung ist ein Phänomen, das sich inzwischen in fast allen deutschen Großstädten feststellen lässt. Dabei ist sie ein ernstzunehmendes Problem für einzelne Personen, ganze Personengruppen, Bevölkerungsschichten und sogar die Gesellschaft als Ganzes. Die Regierung scheint derzeit unfähig, dieses Problem anzugehen, und im Markt nach Lösungen zu schauen ist auch vergebens, denn gerade er treibt diese Problematik an. Das bedeutet aber nicht, dass man dieser Entwicklung als einfacher Bürger machtlos ausgeliefert ist! Es gibt Wege und Alternativen wie wir die Wohnraumversorgung selbst in die Hand nehmen können – selbst organisiert und solidarisch. Das Mietshäuser Syndikat macht es vor!

 

Literatur:

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